KI-Leitlinien an Berliner Hochschulen: Wie umgehen mit ChatGPT & Co. in Studium, Lehre und Prüfungen?
Am 18. Oktober 2023 fand das erste regionale Meetup des KI-Campus-Hubs Berlin statt. Akteur:innen aus Hochschulbildung und Politik diskutierten gemeinsam mit dem Publikum Leitlinien für den Einsatz von KI an Hochschulen. Xenia Zeiter, Stefan Göllner und Marina Lex berichten.
Die rasante Verbreitung von und der leichte Zugang zu Künstlicher Intelligenz verändern auch Lehre und Studium. Hochschulen beschäftigen sich deshalb gegenwärtig damit, Leitlinien für den Umgang mit KI im Hochschulbetrieb zu entwickeln. Dies betrifft insbesondere die Frage nach der Nutzung von KI-Technologien in Prüfungen, aber auch generell in der Planung, Durchführung und Begleitung von Lehrveranstaltungen sowie beim wissenschaftlichen Arbeiten. Mit diesem Thema setzt sich der KI-Campus seit diesem Jahr in bundesweiten Netzwerken schwerpunktmäßig auseinander.
Um auf dieser Grundlage besonders auch den regionalen Austausch zwischen den Berliner Hochschulen zu unterstützen, haben der KI-Campus, die Humboldt-Universität zu Berlin und die Charité – Universitätsmedizin Berlin zu einer Netzwerkveranstaltung im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum eingeladen.
Rund 140 Personen von 15 Berliner Hochschulen, aus weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen sowie aus der Berliner und Brandenburger Landespolitik nahmen daran teil.
Meetup im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum
Impulse von drei Berliner Hochschulen
Nach Eröffnung des Meetups durch Florian Rampelt (Geschäftsstellenleiter des KI-Campus beim Stifterverband) und Prof. Niels Pinkwart (Vizepräsident für Lehre und Studium der HU Berlin) stellten Vertreter:innen von drei Berliner Hochschulen den Prozess der Erstellung von KI-Leitlinien an ihrer jeweiligen Hochschule sowie die wesentlichen Inhalte vor.
Prof. Niels Pinkwart (Humboldt-Universität zu Berlin)
Niels Pinkwart betonte zunächst, dass der Wunsch nach universitätsweiten Leitlinien zum Umgang mit KI in Prüfungen von den Gremien, Fakultäten und Studierenden geäußert worden war. Die Ansichten Letzterer wurden in einer Studierendenbefragung im Juni 2023 erhoben. An der Entwicklung der Empfehlungen der HU waren verschiedene Stellen beteiligt: die Fakultäten, die Studienabteilung, die Rechtsabteilung, der Computer- und Medienservice, Leitungen von Projekten zu KI in der Hochschulbildung, aber auch Studierendenvertretungen sowie das Ressort und Büro des Vizepräsidenten für Lehre und Studium. Dadurch fand ein hochschulübergreifender Dialog zum Einsatz und zu möglichen Folgen der KI-Nutzung statt.
Prof. Pinkwart stellte die verschiedenen Stationen auf dem Weg der Erstellung im Zeitrahmen von ca. sechs Monaten dar. Dabei machte er deutlich, dass der Prozess einer KI-Leitlinien-Entwicklung nie abgeschlossen sein kann, da er der schnellen Weiterentwicklung der Technologie gerecht werden müsse und so eine ständige Nachjustierung erfordere.
Die Empfehlungen der HU zur Nutzung von KI in Studienleistungen und Prüfungen beschränken sich auf generative KI. Sie haben keine bindende Wirkung, da Prüfungen in den Kompetenzbereich der Fakultäten und Prüfungsausschüsse fallen. Der Einsatz von KI in Studienleistungen und Prüfungen ist an der HU grundsätzlich erlaubt, jedoch besteht auch die Möglichkeit, für bestimmte Prüfungsformate Einschränkungen oder Verbote zu erlassen. Die Studierenden sollten über solche Sonderregelungen frühzeitig informiert werden.
Der Einsatz von KI in Prüfungen darf die Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis nicht verletzen, deshalb müssen Studierende die Verwendung von KI in ihren Arbeiten stets dokumentieren. Ein Beispiel für eine angepasste Eigenständigkeitserklärung ist in den Empfehlungen der HU enthalten. Ist von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer unerlaubten Nutzung von KI auszugehen, sollte das Prüfungsformat überdacht werden. Bei erforderlicher Nutzung von KI hingegen sind KI-Tools kostenfrei und unter Beachtung des Datenschutzes bereitzustellen. Wird KI zur Erstellung von Prüfungsunterlagen verwendet, ist besonders auf die Einhaltung von Daten- und Urheberrechtsregelungen zu achten.
Impuls von Niels Pinkwart (HU Berlin)
Prof. Susanne Meyer (HWR Berlin)
Auch die Leitlinien für KI-basierte Anwendungen an der HWR Berlin zielen auf generative KI ab. Mit der breiten Ausrollung von ChatGPT seien an der HWR zunächst Stimmen laut geworden, die ein Verbot von KI forderten, wie dies auch einige andere Hochschulen praktizierten.
Susanne Meyer stellte die institutionelle Ausgangslage der HWR dar, die eine schnelle und konstruktive Auseinandersetzung mit KI-Leitlinien vereinfachte: z. B. das E-Learning-Zentrum, das Schreibzentrum, das Zentrum für Akademische Qualitätssicherung, eine Kommission für Lehre und Studium mit engagierten Mitgliedern sowie eine Reihe von Austauschveranstaltungen. Der in einer Arbeitsgruppe erstellte Entwurf wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gute Lehre zukunftsfähig gestalten“ diskutiert. Es wurden außerdem Rückmeldungen von Lehrenden, von der Kommission für Lehre und Studium, vom Qualitätsbeirat und von der Hochschulleitung eingeholt. Schließlich wurde das Dokument im Mai 2023 vom Akademischen Senat verabschiedet.
Auch Angebote für Studierende z. B. als ergänzende Angebote des Schreibzentrums sollen deshalb entstehen. Außerdem sollen Prüfungsregelungen, einschließlich verbindlicher Nachweis- und Zitierregeln sowie der Eigenständigkeitserklärung, angepasst werden. Langfristig sollen neue Module und/oder Studiengänge etabliert werden, die KI-Kompetenzen als Teil der „Future Skills“ in die Lehre integrieren. Susanne Meyer weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass unabhängig von der Leitlinienentwicklung auch kontinuierliche Schulungen des Lehrpersonals in Bezug auf KI erforderlich sein werden. Außerdem könnte die Anschaffung von Software-Lizenzen in Erwägung gezogen werden, um den Zugang zu KI-Tools für alle zu erleichtern und zu vereinheitlichen.
In ihrer Gesamtbetrachtung der Leitlinienerstellung hob Susanne Meyer hervor, dass digitale Kompetenzen zukünftig nicht mehr ohne KI-Kompetenzen gedacht werden könnten. KI-generierte Texte würden jedoch oftmals nur den Anschein erwecken, wissenschaftliche Kriterien zu erfüllen. Ganz unabhängig von den KI-Entwicklungen bleibe das wissenschaftliche Schreiben deshalb unabdingbar für das wissenschaftliche Lernen und Arbeiten.
Florian Rampelt (KI-Campus | Stifterverband) und Susanne Meyer (HWR Berlin)
Dr. Johanna Balz (Charité – Universitätsmedizin Berlin)
Johanna Balz ging in ihrem Impuls auf die Situation an der Charité ein, die sich als medizinische Fakultät mit sehr ähnlichen Fragestellungen zu Nutzung und Einsatz von KI konfrontiert sah wie die HU und die HWR. Auch dabei zeigte sich die Herausforderung, zunächst ein Gremium zu bilden, das Fragen zum KI-Einsatz fachlich adäquat und möglichst übergreifend für alle betroffenen Institutionen der Hochschule entscheiden konnte. Die Arbeitsgruppe erhielt den Auftrag, die verschiedenen Handlungsstränge, Informationen, Herausforderungen und Chancen zum Einsatz von textgenerierenden KI-Tools auf Studium, Lehre und Forschung zu erfassen, zu prüfen, Konzepte für den Umgang zu entwickeln und diese mit allen zuständigen Stellen und Gremien abzustimmen.
In den entwickelten Regelungen schlagen die Autor:innen vor, übergreifende Qualitätsstandards und Compliance-Regelwerke zu etablieren, die sicherstellen, dass keine personenbezogenen Daten in KI-Anwendungen eingegeben werden. Das Curriculum und Lehrmethoden sollen ggf. angepasst werden, um KI sinnvoll zu integrieren, ohne dabei das kritische Denken und die unabhängige wissenschaftliche Arbeit zu beeinträchtigen. Prüfungsformate und Bewertungsmethoden sollen überdacht werden, um die Eigenleistung und das inhaltliche Verständnis zuverlässig bewerten zu können. Auch hier werden mündliche Prüfungen und praktische Tests als Möglichkeit aufgezeigt.
Johanna Balz verwies auf die aus Sicht ihrer Arbeitsgruppe erforderlichen Schulungsprogramme für Mitarbeitende, Lehrende, Forschende und Studierende der Charité. Der Aufbau von KI-Kompetenzen sei erforderlich, um die Funktionsweise von KI zu verstehen, KI sinnvoll einsetzen zu können und die Grenzen von KI zu kennen. Die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen wurde auch von der Charité hervorgehoben.
Die Vorgaben der Charité beinhalten die Bereitstellung von textgenerierenden KI-Programmen für Lernende und Lehrende, aber auch Plagiatschecker sollten möglichst niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden. Zum Umgang mit textgenerierenden KI-Programmen bei Qualifikationsarbeiten plädierte Johanna Balz ebenfalls für die Erweiterung der eidesstattlichen Erklärung um eine Kennzeichnungspflicht für verwendete KI-Programme, äußerte aber auch Zweifel, ob eine KI-Kennzeichnung in dynamischen Schreibprozessen wirklich umsetzbar sei.
Niels Pinkwart (HU Berlin) und Johanna Balz (Charité – Universitätsmedizin Berlin)
Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung
In der im Anschluss von Florian Rampelt moderierten Fishbowl-Diskussion wurden nicht nur die Gemeinsamkeiten der Ansätze und offenen Fragen deutlich, sondern auch das rege Interesse des Publikums, das sich sehr aktiv mit einbrachte.
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Generative KI bietet viele Potenziale und Einsatzmöglichkeiten für die Hochschulbildung. Ein kompetenter Umgang mit und Zugang zu KI-Tools ist erforderlich.
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Der Einsatz von KI in Studium und Lehre muss geregelt und im Rahmen einer Kennzeichnungspflicht grundsätzlich transparent gemacht werden. Möglichkeiten sollten dabei mehr im Fokus stehen als Verbote.
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Das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten sollte eine wesentliche Kompetenz bleiben und niemals vollständig durch KI abgelöst werden. Gute wissenschaftliche Praxis bleibt auch in der digitalen Transformation Kernanspruch von Hochschulen.
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Kooperation und Austausch zwischen den Hochschulen ist wichtig, um gemeinsam auf die neuen Anforderungen reagieren zu können und Aufwände in den einzelnen Institutionen zu reduzieren. Starke Berliner Netzwerke können dabei auch gemeinsam mit dem KI-Campus ausgebaut werden.
Anregender Austausch und hohes Interesse an Vernetzung
Die interessanten Vorträge und die anregenden Gruppendiskussionen machten deutlich, dass Hochschulen bei der Erstellung von KI-Leitlinien ähnliche Wege gehen und dass es gleichzeitig noch einige offene Fragen gibt, die institutionenübergreifend geklärt werden sollten. Entsprechend war ein hohes Interesse an weiterer Vernetzung und Kooperation erkennbar. Das Team des KI-Campus-Hubs Berlin bedankt sich bei allen Beteiligten für die zahlreiche und engagierte Teilnahme am regionalen Meetup!
Gruppendiskussion nach den Impulsvorträgen
Weiterführende Informationen