Fragen Sie besser Ihren Arzt oder Apotheker
Lektion 2
Reality-Check in der Apotheke
Piyali: Guten Tag. Ich hätte gerne die Salbe „Juckfix forte 4000”. Eine große Tube bitte.
Milan: Darf ich Sie fragen, wofür Sie diese Salbe brauchen? Ich würde die Salbe nicht generell für jede Art von Juckreiz empfehlen.
Piyali: Ich habe einen juckenden Ausschlag hier am Arm. Meine neue App hat die Beschwerden und Symptome für mich ausgewertet. Herausgekommen ist, dass ich eine Nesselsucht habe und mir diese Salbe kaufen sollte.
Milan: Das ist ja interessant. Darf ich mir die Hautstelle einmal ansehen?
Piyali: Natürlich. Ich habe den Ausschlag erst heute auf der Arbeit bemerkt und dann direkt im Internet gesucht und später diese App gefunden.
Milan: Ja, das mit diesen Apps ist immer so eine Sache. Sie sind vielleicht manchmal hilfreich, aber sie können eine Beratung durch medizinisches Fachpersonal nicht ersetzen. Das hier ist jedenfalls garantiert keine Nesselsucht.
Piyali: Oh, wirklich nicht? Dann werde ich wohl doch nochmal meine Ärztin aufsuchen müssen - oder was meinen Sie?
Milan: Ich denke fast, das wäre das Beste.
Dann also doch: Der Arztbesuch
Piyali beschließt, dem Rat ihres Apothekers zu folgen, dem sie schon seit vielen Jahren vertraut. Früh am Montagmorgen geht sie zu ihrer Hausärztin Dr. Hiromi Chang. Piyali erzählt ihr von der App und davon, was der Apotheker ihr gesagt hat.
Dr. Chang schaut sich die noch immer gerötete Stelle an. Bevor sie Piyali eine Diagnose erstellt, spricht sie mit ihr über mögliche Problematiken von Gesundheits-Apps und deren Diagnosen.
Dr. Chang: Frau Kumar, ich finde es super, dass Sie so aufgeschlossen gegenüber diesen neuen Technologien sind. Ich selbst habe gar nichts gegen solche Anwendungen. Es gibt allerdings ein paar wichtige Dinge zu beachten.
Wissen Sie, diese Apps sammeln zwar eine Menge Daten von Ihnen und daher sind die Diagnosen oft auch zutreffend. Dennoch können auch Daten verloren gehen oder durch die Abfrage nicht erfasst werden. Eventuell stellt die App nicht die richtigen Fragen, weil sie nicht alle Daten zur Verfügung hat, die ich habe.
Zum Beispiel kann ich unentdeckte Beschwerden erfragen, auf die eine App oder das Internet zunächst nicht kommen würde. Wir Ärztinnen und Ärzte haben schließlich eine mehrjährige exzellente Ausbildung genossen.
Dr. Chang: Sehen Sie, es geht nicht nur um die Erstellung der Diagnose, sondern um das, was daraus resultiert.
Angenommen, Ihr Apotheker hätte nicht bemerkt, dass die Salbe, die Ihnen das Internet aufgrund der falschen App-Diagnose empfohlen hat, nicht das Richtige ist. Vermutlich wäre es zu einer falschen Therapie gekommen und die Stelle hätte sich verschlimmert. Dann hätten die App-Betreiber nicht für die Auswirkungen gehaftet.
Dennoch finde ich es toll, dass Sie sich digitale Gesundheitskompetenzen aneignen und keine Scheu vor Neuem haben. Solche Apps können eine Krankheit oft gut eingrenzen. Je mehr sie benutzt werden, desto genauer werden sie.
Aber ich würde Sie trotzdem bitten, immer Rücksprache mit Ärztinnen und Ärzten oder Apothekerinnen und Apothekern zu halten.
Aufgabe
App oder Arztbesuch?
Dr. Chang erklärt Piyali, dass es sich bei ihrer geröteten Stelle nicht um eine Nesselsucht handelt, sondern bloß um mehrere kleine Mückenstiche nebeneinander. Piyali muss stark daran herumgekratzt haben, sodass sich die Rötung verstärkt hat und schließlich so aussah wie eine Nesselsucht.
Nach dieser neuen Diagnose ist Piyali ziemlich platt. Es hatte doch alles so gut übereingestimmt mit dem, was ihre App diagnostiziert hatte. Sie weiß nun gar nicht mehr, in welchen Fällen sie überhaupt zur App greifen sollte und wann ein sofortiger Besuch bei ihrer Ärztin die bessere Wahl ist.
Sowohl eine App als auch ein Besuch bei Ärzt*innen haben jeweils ihre Vorteile.
Die App ist unabhängig von Öffnungszeiten immer erreichbar. Dafür gibt es beim Arzt oder der Ärztin deines Vertrauens ein persönliches Gespräch, Fachexpertise und jahrelange Erfahrung im Umgang mit Patient*innen, die keine App ersetzen kann.
Die Millionen von Daten einer App haben dagegen selbst die erfahrensten Ärzt*innen nicht im Kopf. Sie haben dafür aber gründlich studiert und verfügen über ein großes Fachwissen.
In der Arztpraxis kann es zu Wartezeiten kommen und auch der Weg zur Praxis kostet Zeit. Die App dagegen erstellt die Diagnose innerhalb von Minuten.
Ärzt*innen sind an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Bei einer App gibt es keine hundertprozentige Datensicherheit.
Und: Apps beantworten zwar so manche Frage, ermöglichen es jedoch nicht, Verständnisfragen zu stellen.
Aufgabe
Gesundheits-App oder Arztbesuch? Ordne zu, wo du welche Vorteile und Stärken siehst:
3 Fragen an…
Dr.-Ing. Matthieu-P. Schapranow
Was können Gesundheits-Apps heute schon? Was muss passieren, damit sie eine echte Unterstützung für Mediziner*innen werden? Und wie sieht der Arztbesuch der Zukunft aus?
Diese drei Fragen beantwortet Matthieu-P. Schapranow in unserem Interview.
Zur Person
Dr.-Ing. Matthieu-P. Schapranow ist Experte für digitale Gesundheit und promovierter Software-Ingenieur. Er leitet am Digital Health Center des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam die Arbeitsgruppe „In-Memory Computing for Digital Health". Er ist zudem Mitglied der Plattform „Lernende Systeme", einem Expert*innen-Netzwerk für Künstliche Intelligenz.
App und Arztbesuch
Nach dem Besuch bei ihrer Ärztin ist Piyali froh, dass sie beide Diagnosen eingeholt hat. Sie weiß nun, dass Anwendungen wie Gesundheits-Apps zur Verbesserung immer mehr und immer neuere Daten brauchen.
Aber für sie ist der angemessene Umgang mit persönlichen Daten der entscheidende Faktor. Bei der Nutzung von Gesundheits-Apps möchte Piyali ihre eigene Privatsphäre möglichst gut schützen.
Eine App kann für eine erste Diagnose sehr gut sein. Gleichzeitig hat sich gezeigt: Nicht immer sollte man sich allein auf die App verlassen.
Piyali will auch weiterhin Gesundheits-Apps nutzen. Allein schon, um diese zu verbessern, für sich und für andere. Trotzdem ist ihr klar geworden, dass der Arztbesuch in vielen Fällen unabdingbar bleibt.
Aufgabe
Deine Meinung ist gefragt!