Blogbeitrag KI für Lehrende

KI-Tools & -Lernangebote: Lehrpersonen im Fokus didaktischer Designprozesse

Von Steven Beyer und weiteren Autor:innen
29.08.2023

Steven Beyer (Humboldt-Universität zu Berlin), Silke Wrede (FernUniversität in Hagen), Christine Hoffmann und Christine Schulmann (beide HAW Hamburg) beschäftigen sich im „KI-ExpertLab Hochschullehre“ mit den Einsatzmöglichkeiten von KI in der Lehre. Im Beitrag stellen sie die Idee eines „KI-Playgrounds“ und eine Chatbot-Ideenwerkstatt vor.

In zahlreichen Kontexten innerhalb und außerhalb des Bildungsbereichs wird von den Potenzialen Künstlicher Intelligenz (KI) gesprochen und teilweise werden diese regelrecht euphorisch angepriesen. Dies hat die Debatte um generative KI-Anwendungen wie ChatGPT (OpenAI) oder Bard (Google) in den vergangenen Monaten eindrucksvoll gezeigt. Der Hochschulbereich ist auf der Mikroebene (konkrete Lehr-Lern-Prozesse), der Mesoebene (Curriculumentwicklung) und auf der Makroebene (Veränderungen der Institution Hochschule) (Schmohl et al., 2023) betroffen.

Damit bereitet die Hochschule ein Wirkungsfeld auf, das sowohl Raum für eine theoretische Auseinandersetzung als auch für eine Anwendung in Lehre und Forschung zulässt (Wannemacher & Bodmann, 2021). Nicht zuletzt hat das Whitepaper „Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung“ (de Witt et al., 2020) eine wissenschaftsfundierte und zugleich praxisinspirierende Zusammenfassung der Potenziale von KI-Tools für das Lehren und Lernen präsentiert. De Witt et al. (2020, S. 8 ff.) verweisen auf die sich anbahnenden Veränderungen in den Lernkulturen sowie Selbstverständnissen der Hochschulen und warnen vor einem Technikdeterminismus. Sie halten fest, dass die übergeordneten Ziele der Hochschulbildung maßgeblich für den Einsatz Künstlicher Intelligenz sein sollen.
 

Lehrende im Fokus

Technologische Entwicklungen und digitalisierungsbezogene Forschung konzentrieren sich im Bildungskontext zumeist auf Schüler:innen und Studierende. Lehrende stehen, wenn überhaupt, nur in ihrer Rolle als Lehrende und selten als (Weiter-)Lernende im Mittelpunkt. Dabei sind beide Perspektiven beim Innovieren und Implementieren im Bildungsbereich unerlässlich (de Witt et al., 2020; McKenney & Visscher, 2019).

Als Lehrende stehen ihnen KI-Tools im besten Sinne konstruktiv zur Seite, indem sie als adaptive Lehrmedien die Individualisierung des Lehrens unterstützen. Dadurch können sie ihre begrenzten Ressourcen zielgerichteter auf die Lernenden verteilen und individuelle Lernwege sowie die damit verbundenen Hürden besser auswerten.

Als Lernende können sie zum einen von den Potenzialen der KI-Tools für ihre eigene Professionalisierung profitieren und zum anderen brauchen sie einen geschützten Raum, in dem sie sich mit den neuen Möglichkeiten vertraut machen können. Dazu gehören neben forschungsbasierten Fortbildungen auch Selbstlernangebote, die ein eigenständiges, dezentrales Lernen ermöglichen. Diese beiden zuletzt genannten Perspektiven auf das Lernen von Lehrpersonen mit und über KI-Tools werden im Folgenden am Beispiel der Educational Chatbots illustriert.

Wollny et al. (2021, S. 2) schlagen folgende Definition für Chatbots vor:

„Chatbots are digital systems that can be interacted with entirely through natural language via text or voice interfaces. They are intended to automate conversations by simulating a human conversation partner and can be integrated into software, such as online platforms, digital assistants, or be interfaced through messaging services “.

Auch wenn die Gestaltung und der Einsatz von Chatbots für das formale Lernen noch in der Entwicklung steckt, zeichnen sich im Bereich des informellen Lernens bereits zahlreiche Anwendungsszenarien ab. Beispielsweise können Chatbots beim Lernen einer Sprache als virtuelle Tutoren bzw. Assistenten unabhängig von Zeit und Ort diverse Fragen beantworten, individuelles Feedback geben oder Empfehlungen während des Lernens ausspielen. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz zur Unterstützung des wissenschaftlichen Schreibens.
 

Projekt 1: KI-Playground für Hochschullehrende

Geleitet durch die Frage, wie Chatbots ihren Weg in die hochschulische Lehrpraxis finden und welche Unterstützung Lehrende dabei benötigen, arbeitet eine interdisziplinäre Gruppe aus Wissenschaftler:innen der Bereiche Mathematik-, Medien-, Ingenieur- und Technikdidaktik sowie Bildungswissenschaften im Rahmen des KI-ExpertLabs Hochschullehre vom KI-Campus und der FernUniversität in Hagen an einem exemplarischen Lernangebot.

Der als Playground angedachte geschützte Übungsraum soll Hochschullehrenden z. B. die Möglichkeit des Sammelns erster Erfahrungen mit Chatbots sowie Übungssequenzen zur Vorbereitung und Umsetzung der Implementation geben. Neben dem Erwerb von Wissen geht es auch um die Veränderung affektiv-motivationaler Merkmale, die als zentraler Faktor darauf Einfluss nehmen, ob, welche und wie Lehrende Technologien nutzen (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich, 2010). Im Mittelpunkt des Playgrounds steht dabei eine prototypische Low-/No-Code-Plattform, die es Lehrenden ermöglicht, Chatbots weitgehend ohne Programmiererfahrung anhand von Vorlagen oder vollkommen frei zu gestalten.

Der didaktische Designprozess orientiert sich am Decision Oriented Instructional Design Model (DO-ID-Modell; Niegemann, 2020). Das DO-ID-Modell ist ein Rahmenmodell für die Konzeption von multimedialen Lernangeboten. Es identifiziert Entscheidungsprozesse und deren gegenseitige Beeinflussung bei der Konzeption und bietet Struktur für die Umsetzung des Vorhabens. Dieser Prozess wird ko-konstruktiv in Design-Workshops umgesetzt. Zu den ersten Schritten gehörten die Lernendenmerkmal-, Wissens- und Aufgabenanalyse, die Beschreibung der angestrebten Kompetenzen sowie der verfügbaren Ressourcen und des konkreten Use-Cases.

Im Ergebnis konzentriert sich die Projektgruppe bei der Playground-Konzeption auf Noviz:innen im Einsatz von Chatbots. Als Beispiel dient die Unterstützung des wissenschaftlichen Arbeitens/forschenden Lernens von Studierenden im Kontext eines Seminars. Zu den formulierten Lernzielen gehören u. a.:

  • Lehrende können sich die Funktionsweise eines Chatbots erschließen und diesen für ihr Vorhaben nutzbar machen,
  • Lehrende können eine bestehende Chatbot-Struktur unter Berücksichtigung des didaktischen Settings modifizieren und weiterentwickeln,
  • Lehrende können die Nutzer:innendaten analysieren und angemessene Schlussfolgerungen für die studentischen Lernaktivitäten ziehen,
  • Lehrende können mit geeigneten Instrumenten den Einsatz des Chatbots in der Lehre empirisch evaluieren.

Aufbauend auf dem Use Case und den Zielformulierungen hat das Team Aufgabenformate und Beispielaufgaben entwickelt, die aktuell zu einem ersten Mock-Up des Playground-Angebots zusammengestellt werden. Dieser Mock-Up soll im Rahmen einer Publikation zur Illustration dienen (geplante Veröffentlichung WiSe 2023/24) und kann zur Beantwortung weiterführender Fragen im Designprozess genutzt werden.
 

Projekt 2: Chatbots zur Unterstützung von Lehrkräften

Eine weitere Perspektive auf Chatbots und Lehrende nimmt eine Ideenwerkstatt im Kontext der universitären Lehrkräftebildung ein. Dieses Projekt im Rahmen der Förderlinie „Open Humboldt Freiräume“ nutzte einen kombinierten Ansatz aus Design Research sowie Design Thinking und fokussiert die ko-konstruktive Entwicklung eines Chatbots zur Unterstützung von (angehenden) Lehrkräften in schulpraktischen Erprobungskontexten.

Ausgangspunkt dieses Design-Research-Projektes (Plomp, 2013) war die Analyse der Hürden von (angehenden) Lehrkräften bei der schulpraktischen Umsetzung eines Erprobungsauftrags zu innovativen Lehrmaterialien. Denn selbst in Veranstaltungen, die mit bestehenden Mitteln (z. B. Coaching, Selbstlernplattformen, etc.) die benötigte Unterstützung während des Transfers in die Lehrpraxis leisten, kommt es zu vielfältigen Situationen, die sich als Nutzungsanlass für einen Chatbot anbieten. Auch hier sind begrenzte Ressourcen der (angehenden) Lehrkräfte und ihrer Aus-/Fortbildenden ein entscheidender Faktor in der Lernbegleitung. Besonders anspruchsvoll ist dabei – aufgrund der Heterogenität unter den Lehrenden – die Vielfalt der Lernwege (Beyer & Eilerts, 2020).

Der erste Designzyklus wurde im Rahmen einer interdisziplinären Werkstattarbeit mit Teilnehmenden aus den verschiedenen Beteiligungsgruppen der Lehrkräftebildung umgesetzt. Dabei wurden vielfältige Mock-Ups und ein elementar-funktionsfähiger Prototyp eines Intent-basierten Chatbots ko-konstruktiv gestaltet. Der Designprozess ist davon geprägt, die Komplexität und kognitive Belastung des Planungshandelns (z. B. Schräder & Schöb, 2016) zu reduzieren und dabei nicht die Anhäufung trägen Wissens sowie die rezeptartige Nutzung der Inhalte zu fördern (Bonsen & Berkemeyer, 2011). Ziel ist es, dass das Design des Chatbots den (angehenden) Lehrkräften als Rezipient:innen dabei hilft, die komplexe Transferaufgabe zu strukturieren, das aufbereitete Wissen handlungsbezogen zu erkennen und selbstständig – ihrem iterativen Planungsprozess entsprechend – zu erkunden (Moll & Schütz, 2021). Ob diese Ziele erreicht werden, wird aktuell in der praktischen Anwendung bei Lehramtsstudierenden und berufstätigen Lehrkräften untersucht.
 

Ausblick

Diese beiden Projekte skizzieren exemplarisch mögliche Perspektiven auf Lehren bzw. professionelles Lernen mit KI-Tools sowie die zentrale Rolle didaktischen Designs. Die Vermeidung eines Technikdeterminismus als Maßgabe für die Implementation von Künstlicher Intelligenz verlangt nach mehr Forschung und Entwicklung, die zudem nicht nur die Studierenden/Schüler:innen als Zielgruppen in den Blick nehmen. Die Weiterentwicklung guter Lehre ist ein komplexes Unterfangen, dessen Gelingen auch von der Begleitung der Lehrenden als zentrale Akteure mit Möglichkeiten der Professionalisierung sowie Unterstützung ihrer „core activities“ abhängt. Die Gruppe arbeitet an der Publikation der jeweiligen Ergebnisse und eigenen Erprobungen entsprechend des jeweiligen Projektstatus.

 

Literatur

Beyer, S., & Eilerts, K. (2020). Mit mobile learning Professionalisierungsprozesse von (angehenden) Mathematik-Lehrkräften in Fort- und Ausbildung unterstützen. In K. Kaspar, M. Becker‐Mrotzek, S. Hofhues, J. König, & D. Schmeinck (Hrsg.), Bildung, Schule, Digitalisierung (S. 395–400). Waxmann.

Bonsen, M., & Berkemeyer, N. (2011). Lehrerinnen und Lehrer in Schulentwicklungsprozessen. In E. Terhart, H. Bennewitz, & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf (S. 731–747). Waxmann.

de Witt, C., Rampelt, F., & Pinkwart, N. (Hrsg.) (2020). Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung. Whitepaper. KI-Campus.

Ertmer, P. A., & Ottenbreit-Leftwich, A. T. (2010). Teacher technology change: How knowledge, confidence, beliefs, and culture intersect. Journal of Research on Technology in Education, 42(3), 255–284. https://doi.org/10.1080/15391523.2010.10782551

Moll, G., & Schütz, J. (2021). Wissenstransfer – Komplexitätsreduktion – Design. Ein Systematisierungsversuch. In G. Moll & J. Schütz (Hrsg.), Wissenstransfer – Komplexitätsreduktion – Design (S. 9–28). wbv. https://doi.org/10.3278/6004796w

McKenney, S., & Visscher, A.J. (2019). Technology for teacher learning and performance. Technology, Pedagogy and Education, 28(2), 129–132. https://doi.org/10.1080/1475939X.2019.1600859

Niegemann, H. (2020). Instructional Design. In H. Niegemann & A. Weinberger (Hrsg.), Handbuch Bildungstechnologie. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54368-9_7

Plomp, T. (2013). Educational Design Research: An Introduction. In T. Plomp & N. Nieveen (Hrsg.), An Introduction to Educational Design Research (S. 9–36). Netherlands Institute for Curriculum development.

Schmohl, T., & Watanabe, A. (Hrsg.). (2023). Hochschulbildung: Bd. 4. Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung: Chancen und Grenzen des KI-gestützten Lernens und Lehrens (1. Aufl.). transcript. http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5769-2

Schrader, J., & Schöb, S. (2016). Die Planung von Lehr-Lern-Einheiten mit digitalen Medien: Konzepte und Befunde. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 39, 331–347. https://doi.org/10.1007/s40955-016-0078-5

Wannemacher, K., & Bodmann, L. (2021). Künstliche Intelligenz an den Hochschulen. Potenziale und Herausforderungen in Forschung, Studium und Lehre sowie Curriculumentwicklung. HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_59_Kuenstliche_Intelligenz_Hochschulen_HIS-HE.pdf

Wollny. S., Schneider, J., Di Mitri, D., Weidlich, J., Rittberger, M., & Drachsler, H. (2021). Are We There Yet? - A Systematic Literature Review on Chatbots in Education. Frontiers in Artificial Intelligence, 4:654924. https://doi.org/10.3389/frai.2021.654924

Steven Beyer
Steven Beyer
Humboldt-Universität zu Berlin

Steven Beyer ist Grundschulpädagoge und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

Silke Wrede
Silke Wrede
FernUniversität in Hagen

Silke E. Wrede ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Bildungstheorie und Medienpädagogik an der FernUniversität in Hagen tätig. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Untersuchung von Künstlicher Intelligenz in der Hochschulbildung im Forschungsprojekt AI.EDU Research Lab 2.0, dieses ist Teil des Forschungsschwerpunkts CATALPA – Center of Advanced Technology for Assisted Learning and Predictive Analytics.

Christine Hoffmann
Christine Hoffmann
Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg


Christine Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dekanatsbeauftragte für E-Learning und Digital Literacy an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg.

Christine Schulmann
Christine Schulmann
Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg

 

Christine Schulmann ist Mediendidaktikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt KOMWEID an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg.