KI im Journalismus

KI als Anwendung im Journalismus: zwischen Misstrauen und Aufklärung

Von Prof. Dr. Klaus Meier und weiteren Autor:innen
17.05.2021

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz im Journalismus wird kritisch diskutiert. Entscheidungsträger:innen internationaler Medienunternehmen sehen in KI den wichtigsten technischen Wegbereiter für journalistische Innovationen. Journalist:innen stellen sich hingegen die Frage, ob Teile ihrer Arbeit durch KI-Systeme überflüssig werden könnten. In diesem Blog-Beitrag versuchen drei Wissenschaftler der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die Perspektiven einzuordnen.

Wie in so vielen Einsatzgebieten der KI stellt sich auch im Journalismus die Frage nach Chancen und Risiken. Und weil Journalist:innen von Berufs wegen misstrauisch sind, haben in der Fachdebatte der vergangenen Jahre die Ängste überwogen – vor allem die Furcht vor einer KI, die massenhaft Texte produziert, als Jobkiller. Mit immer vielfältigeren Anwendungen von KI im Journalismus werden jedoch die Chancen zunehmend sichtbar: beispielsweise durch Tools, die im Produktionsprozess assistieren, die den Journalist:innen helfen, das Nutzungsverhalten des Publikums besser zu verstehen, oder automatische Übersetzungen, die die Reichweite von Medienprodukten erhöhen, oder trainierte Algorithmen, die bei der investigativen Recherche große Datenmengen durchforsten und dazu beitragen, Missstände und Skandale aufzudecken oder komplexe Zusammenhänge im Datenjournalismus besser zu veranschaulichen.

Bei einer internationalen Befragung der Universität Oxford von 227 Entscheidungsträger:innen in Medienunternehmen im Dezember 2020 sahen 69 Prozent Künstliche Intelligenz als den wichtigsten technischen Wegbereiter für journalistische Innovationen in den nächsten Jahren und damit weit vor der 5G-Technologie, die auf Platz zwei mit 18 Prozent abgeschlagen hinter KI liegt (vgl. Newman 2021: 30). 

Warum das so ist und wo die Chancen und Risiken für den Einsatz von KI im Journalismus liegen, haben wir im Rahmen unseres Fellowships am KI-Campus oft und intensiv mit Studierenden diskutiert. Dieser Blog-Beitrag ist ein Versuch, die Debatte zu systematisieren und die Perspektiven aus wissenschaftlicher Sicht zu ordnen.

Bislang hat die Journalistik als Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft erst(e) vorsichtige Bestandsaufnahmen zum Thema KI und/im Journalismus erarbeitet – häufig unter dem Schlagwort „Computational Journalism“. Darin geht es vorrangig um die Möglichkeiten und Bedenken rund um automatisierte Texterstellung – häufig als „Roboterjournalismus“ bezeichnet. Ein genauerer Blick in die wissenschaftliche Literatur hierzu zeigt wesentliche Zugangsformen und Zuschreibungen, wie das Forschungsfeld KI und/im Journalismus bislang behandelt und erklärt wurde (vgl. Giessmann et al. 2018; Montal & Reich 2017; Linden 2016; Dörr & Hollnbuchner 2016). Demnach gibt es Forschungen

1. zu automatisierter Textproduktion: Funktionsweise, Stärken und Schwächen;
2. zu KI als Assistentin oder teilweise sogar Determinantin im Produktionsprozess – von der Themenauswahl und Recherche über die Verarbeitung und Anreicherung bis zur Verbreitung und Nutzung journalistischer Produkte;
3. zum Wandel journalistischer Rollenbilder und Kompetenzen: neue Aufgaben im Kontext von Algorithmen und Automatisierung, auch in der Zusammenarbeit mit Techniker:innen;
4. zu einer (neuen) Medienethik an der Schnittstelle zwischen Medienethik, Journalistischer Ethik, Maschinenethik, also eine Entwicklung ethischer Konzepte für die Dimensionen 1) bis 3).

Der knappe Überblick zeigt, dass das Zusammenspiel von Journalismus und Künstlicher Intelligenz einem Nischenthema entwachsen ist. Das zeigt auch der Blick in die Praxis. Wie der Chefredakteur von Bloomberg News, John Micklethwait, schon vor zwei Jahren sagte, seien zu diesem Zeitpunkt bereits 30 Prozent der journalistischen Inhalte mit Hilfe von Software und Künstlicher Intelligenz erstellt worden (vgl. Kreye 2021). Auch Medienhäuser in Deutschland wie der Bayerische Rundfunk (BR) haben eigene KI-Labore gegründet, die nicht nur bisher verwendete KI bündeln, sondern auch die Weiterentwicklung vorantreiben. Alleine beim BR gibt es Dutzende Anwendungsgebiete für KI in kleinen und großen Projekten.

In einem Lehrforschungsprojekt haben wir in Zusammenarbeit mit dem KI-Campus und Kooperationspartner:innen aus journalistischen Redaktionen zusammen mit Master-Studierenden1 gegenwärtige Einsatzmöglichkeiten von KI im Journalismus näher untersucht und daran anschließend Fragen nach Herausforderungen, Chancen und Grenzen dieser Entwicklungen gestellt. Konkret umgesetzt wurde dies anhand von Expert:inneninterviews und der Analyse vorliegender Literatur. Die zentralen Erkenntnisse lauten verkürzt wie folgt:

  • Kein „Roboter-Journalismus“
    Die Anwendungsoptionen und Diskussionsdimensionen in Wissenschaft und Praxis gehen weit über das oberflächliche Verständnis eines „Roboter-Journalismus“ hinaus. Sowohl der Begriff selbst, wie auch die verknappte Fokussierung auf automatische Text-Produktion sind zu kurz gegriffen.

  • Positive Bewertung Menschen-unterstützender KI
    Entgegen der zukunftsskeptischen Perspektive einer KI als Konkurrentin und Gefährderin menschlicher Jobs zeigen die Interviews einen starken Fokus und positiv bewertete Perspektiven für eine Menschen-unterstützende KI.

  • Personalisierung von Medieninhalten
    Ein besonderer Schwerpunkt der KI könnte künftig in der Personalisierung von Medieninhalten für ein fragmentiertes und heterogenes Publikum liegen.

  • Zuordnung (neuer) Verantwortungsdimensionen
    Noch offen ist, wie sich (neue) Verantwortungsdimensionen zuordnen lassen. Klar scheint, dass der KI keine personale Verantwortung übertragen werden kann, sondern diejenigen an der Programmierung und Entscheidungsalgorithmen beteiligten Menschen dies in Teilen übernehmen müssen, in anderen Teilen die Anwender:innen in Redaktionen.

  • Deutschlands Position im KI-Feld
    Die Befragten und die untersuchte Literatur sind einig über die Position Deutschlands im Zukunftsfeld KI: Im Vergleich zu Asien und den USA sind Deutschland und Europa in dieser Schlüsseldisziplin vorerst abgehängt. Es fehlt an Forschung, institutioneller Integration und politischer Priorität.

Zusammengefasst leiten wir daraus einen normativen Standard für die Entwicklung der nächsten Jahre ab. Demnach soll KI...

  • nicht die Hoheit des Gatekeepings, der Relevanzentscheidungen oder der Meinungsbildung abnehmen,
  • Dienstleisterin für den Journalismus und die menschlichen Akteur:innen darin sein,
  • den Journalismus schneller und effektiver gestalten, damit mehr Zeit für Recherche, Produktion und Selektion von Themen bleibt, die komplexer sind und nicht automatisiert beschrieben werden können. 

Daran schließt ein derzeit laufendes Folgeprojekt (April-Juli 2021) an, welches in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk und dem KI-Campus konzipiert wurde. Ziel ist es, zusammen mit Studierenden eines Masterkurses eine Serie von Podcasts zu produzieren, die die wichtigsten Themen im Zusammenspiel zwischen KI und Journalismus auf Basis einer wissenschaftlichen Befragung grundlegend aufbereitet. Eine Vorsortierung und Priorisierung des Feldes hat fünf zentrale Themenblöcke ergeben, die sich wie folgt darstellen:

  • Medien- und Technikkompetenz
    Welche Kompetenzen benötigen Journalist:innen in der Zukunft und in Bezug auf KI und in der Zusammenarbeit mit technischer Entwicklung? Gekoppelt an die Frage nach zukünftigen Kompetenzen sind Zukunftssorgen und Ängste von Mitarbeiter:innen und Journalist:innen, die ein „Ersetzt-Werden“ durch KI befürchten, wenn die KI in der Lage ist, immer mehr Aufgaben im journalistischen Produktionsprozess zu übernehmen.

  • Funktionalität von KI
    Wie wird eine KI richtig trainiert und wie lernt sie? Um eine funktionierende KI für den journalistischen Arbeitsalltag entwickeln zu können, ist viel Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen, technisches Verständnis und Aufwand an Ressourcen (finanziell, personell) notwendig.

  • KI und journalistische Ethik
    Die Frage nach Verantwortung und Moral beim Einsatz von KI im Journalismus stellt sich auf vielen Ebenen. Dabei geht es zum Beispiel um Verzerrungen („Bias“) von Themen und Positionen, um Fehler und Fehlerkorrekturen oder auch um das Durchschauen der Arbeitsweisen von KI-Systemen, also um Transparenz – für journalistische Anwender:innen wie für das Publikum.

  • „Assistant Intelligence“ 
    Im Produktionsprozess kann KI weit mehr als automatisiert geschriebene Börsen-, Wetter- oder Sportberichte leisten: von der Themenfindung über Social Mining und User Engagement bis zu „einfachen“ journalistischen Arbeiten wie die Interview-Transkription oder dem Erfassen von Meta-Daten beim Archivieren von Video- und Audio-Material. Das A im englischsprachigen Begriff AI (Artificial Intelligence) ist im übertragenen Sinne gut als Assistant, also als Unterstützerung für die Journalist:innen, zu übersetzen. Die Arbeit der Journalist:innen effizienter zu gestalten ist die größte Motivation zum Einsatz von mehr KI im Journalismus (vgl. Beckett 2019: 7).

  • Verifikation 
    Fake News und falsche Informationen stellen den Journalismus (und seine Glaubwürdigkeit) vor große Herausforderungen. KI-gestützte Deep-Fakes als besonders gut getarnte Fakes (meist in Videoform) erhöhen die Täuschungsgefahr. KI-gestützte Lösungen können Redaktionen helfen, diese Fakes zu erkennen, aufzudecken oder im Zuge der Recherche z. B. Videos, Bilder und O-Töne zu verifizieren.

Dieser Auszug an Gedanken, Zusammenfassungen und eigenen Ergebnissen ist keinesfalls als vollständige Bestandsaufnahme zu sehen. (Zu) vieles ist zurzeit in Bewegung und im Entwicklungsprozess. Alles in allem kommt es auf Aufklärung und Transparenz an: KI darf keine Blackbox sein. Journalist:innen müssen verstehen können, wie ein KI-Tool funktioniert und müssen dieses Tool auch ihrem Publikum erklären können.

 

Literatur

Beckett, C. (2019): New powers, new responsibilities. A global survey of journalism and artificial intelligence. 

Dörr, K. (2016): Ethical Challenges of Algorithmical Journalism. Digital Journalism, 5 (S. 404-419). https://doi.org/10.1080/21670811.2016.1167612

Giessmann, M., Goutrie, C., & Herzog, M. (2018): Unsichtbar und unverständlich: Kennzeichnungen von Roboterjournalismus. In Dachselt, R. & Weber, G. (Hrsg.): Mensch und Computer 2018 – Sammelband zur Tagung in Dresden. https://doi.org/10.18420/muc2018-mci-0294

Kreye, A. (15. Februar 2021): Die rote Linie. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/medien/kuenstliche-intelligenz-fake-news-recherche-1.5204699

Linden, C.-G. (2016): Decades of Automation in the Newsroom. Why are there still so many jobs in journalism? Digital Journalism, 5 (S. 123-140). https://doi.org/10.1080/21670811.2016.1160791

Montal, T., & Reich, Z. (2016): I, Robot. You, Journalist. Who is the Author?: Authorship, bylines and full disclosure in automated journalism. Digital Journalism, 5 (S. 829-849). https://doi.org/10.1080/21670811.2016.1209083

Newman, N. (2021): Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2021. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2021-01/Newman_Predictions_2021_FINAL.pdf

 

1 Wir bedanken uns bei den Studierenden Konstantin Holtkamp, Felix Melzer, Verena Müller und Morgana Pfeifer für die Unterstützung und Zusammenarbeit im Rahmen des Projekts.

Fellow Klaus Meier
Prof. Dr. Klaus Meier
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt


Klaus Meier ist Professor für Journalistik - seit zehn Jahren an der KU Eichstätt-Ingolstadt, davor an der TU Dortmund und an der Hochschule Darmstadt. Er ist Träger des Ars legendi-Preises 2017 für exzellente Hochschullehre des Stifterverbands für die Wissenschaft und der Hochschulrektorenkonferenz. Er forscht u. a. zu Innovationen im Journalismus, zu Ethik und Qualität im Journalismus sowie zur digitalen Transformation von Redaktionen. Er ist Teil des Fellowship-Programms des KI-Campus.

Fellow Jonas Schützeneder
Dr. Jonas Schützeneder
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt


Dr. Jonas Schützeneder ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Journalistik I an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Neben Forschungsschwerpunkten zu Innovationen im Journalismus und Plattform-Kommunikation beforscht er u. a. die Chancen und Risiken von KI im Journalismus. Er ist Teil des Fellowship-Programms des KI-Campus.

Michael Graßl
Michael Graßl
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt


Michael Graßl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Journalistik I an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Neben Forschungsschwerpunkten zu digitaler Kommunikation und Social-Media-Öffentlichkeiten betreibt er Grundlagenforschung im Bereich KI und Journalismus. Zudem arbeitet er zusammen mit dem KI-Campus und dem Bayerischen Rundfunk an einem gemeinsamen Podcast-Projekt über KI-Anwendungen im Journalismus.