KI im Bewerbungsgespräch
Lektion 3
Das Bewerbungsgespräch
Sonja: Schön, Sie jetzt auch mal persönlich kennenzulernen, Frau Deniz!
Mara: Ja, ich freue mich auch! Hoffentlich kann ich ihnen überhaupt noch etwas Neues erzählen. Sie haben ja schon einige Daten über mich ...
Sonja: [lacht] Ja, richtig. Ich hoffe, der Persönlichkeitstest war okay für Sie?
Mara: Ja, sicher! Auch wenn ich gespannt bin, was man daraus ableiten kann. Ein persönliches Gespräch kann so ein Test dann ja doch nicht ersetzen, oder?
Sonja: Natürlich kann er nur eine erste Orientierung geben. Aber diese neuen Recruiting-Möglichkeiten helfen uns in der Personalabteilung schon sehr. Der ganze Bewerbungsprozess wird einfach viel objektiver.
Mara: Was genau meinen Sie?
Sonja: Nun ja, Bewerbungen laufen nicht immer ideal ab. Damit meine ich jetzt natürlich nicht unser Gespräch hier [lacht]. Aber oft ist es einfach schwer, die passenden Kandidaten zu finden.
Mara: Ja, allein schon die vielen Bewerbungen zu sichten, die Sie auf eine Stellenanzeige bekommen, ist sicher sehr aufwendig!
Sonja: Sie sagen es. Da nutzen wir inzwischen auch Analysetools, die Lebensläufe nach bestimmten Kriterien durchsuchen und dann vorsortieren.
Sonja: Oder wir setzen Chatbots ein. Die sind wirklich sehr hilfreich, um ein paar grundlegende Fakten abzufragen. Und nebenbei sieht man auch direkt, wie gut sich jemand schriftlich ausdrücken kann. Inzwischen funktioniert das sogar mit Sprachassistenten.
Mara: Wirklich? Mit diesen Smart Speakern, die immer mehr Leute zu Hause haben?
Sonja: Ja, genau. Statt „spiele bitte meine Lieblingsplaylist“, sagt man einfach „starte die Bewerbung bei Unternehmen XY”.
Mara: Hm, wirklich beeindruckend, was heute alles möglich ist …
Objektiver durch Daten?
Die Forschung weiß bisher nur wenig darüber, wie Einstellungsentscheidungen genau ablaufen. Aber offenbar kommt es nicht nur auf das Fachliche an. So hat die Soziologin Lauren Rivera 2015 in einer Studie zu Verhaltensmustern und Erfolgsstrategien in Vorstellungsgesprächen herausgefunden, dass bei hoch bezahlten Anstellungen in renommierten Unternehmen der Anteil fachlicher Fragen abnimmt.
Gesucht werden eher Kandidat*innen, die der Bewerbungskommission sympathisch sind. Beeinflusst wird dies zum Beispiel durch sprachliche Signale, die auf einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund schließen lassen.
Menschen sind in ihrem Urteil oft voreingenommen und entscheiden recht subjektiv. Um Bauchentscheidungen zu vermeiden und mehr Rationalität im Bewerbungsverfahren zu gewährleisten, setzen viele Unternehmen daher auf automatisierte Bewerbungsprozesse.
Im Gegensatz zu Menschen führen Programme objektive Bewertungsanalysen durch. Eine Methode ist die automatisierte Analyse von Lebensläufen. Den Bewerber*innen sollte bewusst sein, welche Daten überhaupt ausgelesen werden können und auf welche Weise sie interpretiert werden.
Exercise:
Was denkst du?
Voreingenommene Anwendungen
Es erscheint sinnvoll, Bewerbungsprozesse durch Datenanalyse objektiver zu machen. Dazu kann man eine KI-Software lernen lassen, bestimmte Qualifikationen einer Person positiv oder negativ zu bewerten.
Die Datenbasis dafür bildet die bisherige Einstellungspraxis: Wer wurde aus welchen Gründen eingestellt? Wer war aus welchen Gründen im Unternehmen erfolgreich?
Allerdings kann es gerade auch durch den Einsatz von Algorithmen zu Trugschlüssen kommen.
Das Problem ist, dass Algorithmen alle Muster übernehmen, nicht nur die gewünschten, sondern auch die unbewussten. Waren beispielsweise Bewerbungen von Frauen in einem Unternehmen bislang weniger erfolgreich, übernimmt die Software dieses Muster.
Solche systematischen Fehler in Programmen, die zu verzerrten Ergebnissen führen, nennt man algorithmische Voreingenommenheit („Algorithmic Bias“).
Zu den wichtigsten Fehlerquellen bei der algorithmischen Voreingenommenheit (man spricht auch von algorithmischer Verzerrung) gehört die subjektive Definition von Zielvariablen: Sucht man beispielsweise nach dem oder der besten Bewerber*in, muss vorab definiert werden, wie „beste“ überhaupt verstanden werden soll.
Das hängt wiederum von der individuellen Perspektive der Entscheidungsträger*innen oder Datenwissenschaftler*innen ab. Eine Möglichkeit wäre hier, die Kriterien von unabhängigen Gremien überprüfen oder sogar entwickeln zu lassen.
Ein anderes Problem kann auftreten, wenn ein Trainingsdatensatz mehrheitlich nur einen Teil der Bevölkerung erfasst (etwa weiße Menschen), während ein anderer Teil unterrepräsentiert ist (etwa People of Color). Die Daten stellen dann einen verzerrten Ausschnitt dar.
Dieses Phänomen wird als Stichproben-Voreingenommenheit bezeichnet. Wenn Algorithmen anhand veralteter Datensätze trainiert werden, die Elemente wie Stereotype, Rassismus oder Sexismus beinhalten, spricht man von historischer Verzerrung.
Eine weitere Fehlerquelle liegt in der Auswahl der Bewertungskriterien (engl. Feature Selection). Wer auf der Suche nach den besten Kandidat*innen nur den Abschluss an einer Eliteuniversität als qualifizierendes Kriterium vorgibt, nicht aber Abschlussnote oder Studiendauer, erhält nur ein ungenaues Bild von der Kompetenz der Bewerber*innen.
Exercise:
Gut aufgepasst? Teste dein Wissen!
Du sprichst, wir analysieren
Inzwischen kann man sich tatsächlich auch mithilfe eines Sprachassistenzsystems bewerben. Diese sogenannten „Smart Speaker“ werden von vielen Menschen bereits für einfache Alltagsaufgaben eingesetzt, etwa für das Abrufen von Informationen aus dem Internet oder das Abspielen von Musik per Sprachsteuerung.
Der Ablauf bei einer Bewerbung kann ähnlich funktionieren. Man gelangt über den Sprachbefehl „Ich möchte mich bei Unternehmen XY bewerben“ in einen Sprachdialog mit einem Chatbot des Unternehmens.
Im Laufe der Kommunikation werden Daten wie Name und Alter abgefragt oder kleine Tests durchgeführt. Das Gerät stellt anschließend Fragen, wie sie auch in Bewerbungsgesprächen vorkommen.
Mithilfe einer speziellen Software könnte man im Bewerbungsprozess auch eine Sprachanalyse durchführen und so Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen. Dafür leitet das Programm aus Tonlage, Wortwahl, Lautstärke, Stimme und anderen Faktoren eine Beurteilung bestimmter Merkmale, wie etwa der aktuellen Stimmung, ab. Bei Videointerviews kommen ergänzend Gestik und Mimik dazu. Laut Herstellerfirmen kann eine solche Software bis zu 15.000 Merkmale berücksichtigen.
Recruitingexpert*innen sehen das kritisch: Für ihren Bereich sei das, salopp formuliert, nicht besser als der Blick in eine Glaskugel. Dasselbe gilt für die Behauptung, man könne aus der Tonalität von Bewerbungsschreiben und E-Mails bestimmte Persönlichkeitsmerkmale herauslesen. Solche Verfahren gelten als unseriös.
Exercise:
Gut aufgepasst? Teste dein Wissen!